Zwischen professionellem Handeln, persönlichen Kompetenzen und Familienalltag
Fachliches Handeln mit methodisch korrektem Ansatz oder spontanes Reagieren auf kindliche Bedürfnisse? Professionelle Distanz oder liebevolle Nähe? Reflektierte und kompetente Fachkraft oder doch lieber authentische, echte und menschliche Bezugsperson? Für die Fachkräfte in den Angeboten in häuslicher Gemeinschaft stellen sich diese und ähnliche – natürlich stark zugespitzte – Fragen im Alltag ebenso wie in ihrer fachlichen Auseinandersetzung mit ihrem Handeln. Das Zusammenleben und Arbeiten mit jungen Menschen im direkten familiären Umfeld stellt unsere Kooperationspartner*innen quasi tagtäglich vor besondere Herausforderungen, die sich in anderen Arbeitsfeldern der sozialen Arbeit so nicht ergeben: Den üblichen Feierabend und damit auch das Wechseln von der beruflichen in die rein private Rolle gibt es kaum. Die alltäglichen und familiären Aufgaben und Anforderungen gehen Hand in Hand mit den Aufträgen und Zielen im Rahmen der Hilfe zur Erziehung und der Anforderung, eine hochwertige, professionelle und an fachlichen Handlungsmaximen orientierten Dienstleistung zu erbringen.
Was bedeutet das konkret für die Anforderungen an Fachkräfte, die Hilfeleistungen in Angeboten in häuslicher Gemeinschaft erbringen?
Professionelle Identität und Handlungsprinzipien der sozialen Arbeit
Zunächst erfordert jede Tätigkeit im sozialen Bereich die Entwicklung einer professionellen Identität. Es stellt sich dabei die Frage, was eigentlich professionelles Handeln ist und welche Rolle dabei die Handlungsprinzipien der Sozialen Arbeit spielen. Von professionellem Handeln spricht man, wenn sich „gekonnte Fachlichkeit in qualitativ hochwertiger Arbeit ausdrückt“ (vgl. Ehlert 2019, o. S.). Gemeint ist dabei ein Handeln, das nicht schematisch vorgeht und sich nicht darin erschöpft, nur vorgegebene Handlungsanleitungen zu befolgen, da auf jeden Fall individuell eingegangen werden muss (vgl. Pantucek-Eisenbacher 2015). Professionelles Handeln ist immer dann gefordert, wenn komplexe Problemlagen vorliegen, für die es keine einfachen und eindeutigen Lösungen gibt und zudem für das Verständnis der Problemlagen mehr als bloßes Alltagswissen und für eine Lösung ein spezialisiertes Fachwissen und Methodenkenntnisse erforderlich sind.“ (vgl. Scherr 2018, S. 9).
An Prinzipien und Handlungsmaximen mangelt es den in der sozialen Arbeit Tätigen sicher nicht: Empowerment, Partizipation, Subjektorientierung, Ressourcenorientierung, Multiperspektivität, Reflexion, Systemorientierung und sozialökologische Orientierung, Mehrdimensionalität und Multiperspektivität, Offenheit, Kontextualität… die Aufzählung könnte noch lange weitergehen. Hinzu kommen unterschiedlichste Ansätze, pädagogische Haltungen, Methoden sowie pädagogische Schwerpunkte, aus denen sich in jeder Betreuungsstelle ganz individuelle fachliche Herangehensweisen an die von den jungen Menschen gestellten Anforderungen in der Erziehung, Versorgung und Betreuung ergeben.
Nach Meinhold (1994) sind „Arbeitsprinzipien oder handlungsleitende Orientierungsrahmen […] allgemeine Grundsätze, an denen sich das Handeln orientiert. […] Sie stellen gewissermaßen die Brücke zwischen Denken und Handeln dar.“
Nach Spatschek / Borrmann ist der „zentrale Aspekt für die Wahl einer Methode […] die Passgenauigkeit zu dem zu bearbeitenden sozialen Problem. Die Probleme bestimmen die Wahl der Methode.“ Zugleich ist es hilfreich, sich zu vergegenwärtigen, dass die Definition des jeweiligen Problems sowohl aus der Sichtweise der Adressat*innen, der Fachkräfte und/oder der Strukturen (und zu diesen gehörenden Akteuren), ergibt. Die Fachkräfte müssen klären, ob sie überhaupt zuständig für die Bearbeitung des Problems sind. Hinzu kommt, dass die Bewertung dessen, was als Lösung des Problems und somit als zu erreichender Zielzustand verstanden wird, zwischen den jungen Menschen, den Fachkräften und den Strukturen divergieren können.
Fassen wir also kurz zusammen:
- Für die Fachkräfte in Angeboten in häuslicher Gemeinschaft ist neben ihrer pädagogischen Grundausbildung eine hohe Aufmerksamkeit und Feinfühligkeit dafür gefordert, ob und wenn ja in welcher Form ein bestimmtes Verhalten oder auftretende Probleme der jungen Menschen überhaupt bearbeitet und verändert werden müssen und welches Ziel damit verfolgt wird.
- Zudem ist eine Bewertung erforderlich, in welcher Situation eine ganz automatische, möglicherweise intrinsische Reaktion auf das Verhalten junger Menschen und ihre Problemlagen erfolgt, und wann eine an fachlichen Handlungsmaximen orientierte, methodisch basierte Vorgehensweise erforderlich ist.
- Um diese Abwägung jeweils zu treffen, müssen der Fachkraft zudem im Einzelfall die Gründe für die Hilfemaßnahme sowie die Herkunft und Biografie der Kinder und Jugendlichen ebenso ständig präsent sein wie die vereinbarten Ziele im Rahmen der Hilfeplanung.
Anforderungen an Fachkräfte in den Angeboten in häuslicher Gemeinschaft
Diese Anforderungen führen zu einem weiteren Punkt, nämlich der Frage nach der persönlichen Eignung und den persönlichen Fähigkeiten und Ressourcen der Fachkräfte. Diese sogenannten Soft Skills tragen neben einer hohen Fachlichkeit sowie einer guten Methodenkenntnis dazu bei, die Arbeit als Erziehungsstelle oder Pflegefamilie erfolgreich und zum Wohl der anvertrauten Kinder und Jugendlichen auszuüben sowie sich selbst und die eigene Familie vor Überlastung zu schützen.
Fachkräfte in den Angeboten in häuslicher Gemeinschaft benötigen insbesondere
- hohe intrapersonale Kompetenzen, wie z.B. Belastbarkeit, die Fähigkeit zur Selbstreflexion, Authentizität, Anpassungsfähigkeit, Selbstdisziplin, Kreativität sowie Verantwortungsbewusstsein
- sehr gute Soziale und Kommunikative Kompetenzen, wie z.B. Empathie, interkulturelle Kompetenz, Kommunikationsfähigkeit, Konfliktmanagement, Kritikfähigkeit, Motivationsfähigkeit oder Verhandlungsfähigkeit
- ausgeprägte Aktivitäts- und Handlungskompetenzen, wie z.B. Eigeninitiative, Entscheidungsfähigkeit, Problemlösungsfähigkeit oder Ziel- und Lösungsorientierung
(vgl. www.studyflix.de)
Hinzu kommen ausgeprägte und stabile elterliche Kompetenzen und erzieherische Fähigkeiten, wie z.B. Disziplin, Kommunikation, Selbstfürsorge, Empathie, Orientierung an kindlichen Bedürfnissen.
Es zeigt sich also, dass die Zusammenarbeit mit Kindern und Jugendlichen im Rahmen der Angebote in häuslicher Gemeinschaft ein breites Anforderungsspektrum an die betreuenden Fachkräfte stellt. Fachliche Kompetenzen, methodisches und pädagogisches Wissen, persönliche wie auch erzieherische und elterliche Fähigkeiten wirken hierbei zusammen, ergänzen sich, bedingen sich gegenseitig und sind untrennbar miteinander verbunden. Hinzu kommen die Auswirkungen von Stress, Krisen und Herausforderungen aus dem Familienalltag oder der Partnerschaft, die eine wichtige Rolle für das Berufsleben spielen, da dieses vollständig zu Hause stattfindet.
Daraus ergibt sich auch, dass die Fachkräfte in den Betreuungsstellen einen hohen Bedarf an Begleitung, Beratung, Unterstützung und Reflexion von außen haben. Diese stellt wiederum besondere Anforderungen an die Fachdienste des Trägers und erfordert ein feinfühliges, wertschätzendes und unterstützendes Zusammenwirken der der freien und öffentlichen Jugendhilfe sowie der weiteren Kooperationspartner.
Vor allem aber wird ersichtlich, wie unglaublich vielfältig, spannend und vor allem wertvoll die Arbeit der Fachkräfte in den Angeboten in häuslicher Gemeinschaft ist und wie hoch das Engagement der Gesamtfamilien zu schätzen ist.
Tobias Conzelmann
Leitender Fachdienst Region Mitte
2024
Quellenangaben: ww.dgsa.de, www.bmjsj.de, www.studyflix.de., https://.link.springer.com
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