Jugendwohngemeinschaften als alternative Betreuungsform der Aufnahmeangebote für unbegleitete minderjährige Ausländer

24. Jan. 2024Betreuungsstellen, Bewerber*innen, Jugendämter

Clearing, so lautet der Prozess, den unbegleitete minderjährige Ausländische Kinder und Jugendliche (im folgenden umA benannt) durchlaufen, nachdem sie in Deutschland angekommen sind.

Ihrer Ankunft sind meist mehrere Wochen bis Monate einer stressbelasteten und herausfordernden Flucht vorausgegangen. Laut Statistik haben im Jahr 2023 (Bundesfachverband für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge; Bumf; 30.09.2023) 10.900 unbegleitete Minderjährige einen Asylerstantrag gestellt. Das sind ca. 5% aller Erstantragstellenden im Jahr 2023.

Der erste Schritt einer Feststellung der personenbezogenen Daten nach Ankunft der jungen Menschen in Deutschland erfolgt i.d.R. durch einen Erstkontakt mit der Polizei, welche die jungen Menschen auf der Straße aufgreift. Teilweise melden Sie sich die jungen Menschen auch selbst bei Behörden.

Nach der Handlungsempfehlung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter ist es nicht vorgesehen die umA in einer Erstaufnahmeeinrichtung für erwachsene Ausländer unterzubringen. Vielmehr sind die örtlichen Jugendämter (am aktuellen Aufenthaltsort der umA) in der Verantwortung der Unterbringung, welche die jungen Menschen i.d.R. in einer Inobhutnahmeeinrichtung unterbringen. Teilweise vergehen dort im Anschluss mehrere Wochen bis Monate, weil passende Wohnformen für eine dauerhafte Unterbringung nur begrenzt zur Verfügung stehen. Für die jungen Menschen sind dies oftmals Wochen, in denen die ohnehin belasteten jungen Menschen, weiterhin einem enormen Stress ausgesetzt werden.

Die h&p Baden-Württemberg gGmbH sieht sich hier als professioneller Träger der Jugendhilfe in der Verantwortung sich dieser herausfordernd bleibenden Thematik anzunehmen und angemessen durch die Ausgestaltung professioneller Leistungsangebote bezogen auf die spezifische Bedarfslage dieser jungen Menschen zu reagieren.

Weiterführend ist an dieser Stelle das Recht auf eine positive Persönlichkeitsentwicklung für alle jungen Menschen hervorzuheben. Diese Persönlichkeitsentwicklung steht bei den umA, welche meist mehrfach traumatisiert und kulturell entwurzelt in Deutschland ankommen (KVJS Traumatisierte umA in der Kinder- und Jugendhilfe), allerding häufig im Schatten der Realität.

Im Hinblick auf die beschriebenen gesellschaftspolitischen Herausforderungen führte dies zu der Entscheidung, eine weitere Jugendwohngruppe (JWG) für unbegleitete minderjährige Ausländer zu eröffnen. Ergänzend untermauert wurde die Entscheidungsfindung auf der Grundlage des trägerbezogenen Engagements zur Förderung, Integration und der Persönlichkeitsentwicklung dieser jungen Menschen. Übergeordnet wird somit darauf abgezielt, ein unterstützendes Umfeld zu schaffen, in dem sich die jungen Menschen geborgen fühlen und die notwendige Unterstützung erhalten, um ihre Fähigkeiten zu entfalten und ihre Zukunft selbstbestimmt zu gestalten.

Am 01.02.2024 öffnet eine weitere Jugendwohngemeinschaft der h&p Baden-Württemberg gGmbH seine Türen. Im beschaulichen Ortsteil Rupertshofen im Landkreis Biberach (Region Süd) werden fortan 6 weitere Plätze für männliche junge Menschen (umAs) im Alter zwischen 16 und 18 Jahren angeboten.

Die freistehende Immobilie bietet jede Menge Platz und Gestaltungsmöglichkeiten sowohl für das pädagogische Personal als auch für die untergebrachten jungen Menschen – vor allem durch das großzügige umgebende Grundstück von ca. 3000 Quadratmetern.

Wie in der bereits bestehenden JWG „Kompass“ mit derselben konzeptionellen Ausrichtung, soll es auch in der neu entstehenden JWG „Adagio“ vor allem darum gehen, die jungen Menschen dabei zu unterstützen, sie auf ein selbstbestimmtes Leben vorzubereiten und Verselbständigungsprozesse professionell zu begleiten.

„Je größer die kulturelle Distanz zwischen Aufnahme- und Herkunftsland, desto größer ist sie als Quelle von Migrationsstress zu sehen“ (Hierwartz-Emden/Rieken, 2011)

Im Kontext des Jahresthemas der h&p Baden-Württemberg gGmbH „Herkunft erkunden, Identität entfalten“ stellt es einen wichtigen Bestandteil der pädagogischen Arbeit mit den jungen Menschen dar, hier die Biographiearbeit als Trauma sensibel verwendete Methode in die Arbeit mit den jungen Menschen mit einfließen zu lassen, insbesondere in Jugendwohngruppen mit dem Schwerpunkt umA. Im Zusammenhang mit den kulturell vielfältigen Hintergründen, der Fluchterfahrung und den zurückgelassenen Familienangehörigen ist es wichtig, die eigene Herkunft und Identität wertschätzend zu integrieren. Auch ein Umgang mit teilweise einhergehenden Kontaktabbrüchen zur eigenen Familie, ohne das Wissen über den Verbleib der Angehörigen, soll erlernt werden. Handlungsfähigkeit und Selbstwirksamkeitserfahrungen sind hier von elementarer Bedeutung. Neben dem Spracherwerb gehört es deshalb auch zu den wichtigen Bestandteilen des Alltags, sich mit Behördengängen und anderen Alltagsherausforderungen auseinanderzusetzen – und gerade hierbei benötigen die heranwachsenden umA eine bedarfsgerechte und kompetenzorientierte Unterstützung durch professionelle Fachkräfte.

Leitender Fachdienst der Region Nord

Janina Schuster